01.03.2024 09:00
Photonachweis: © Lucas Milano S.r.l. 2023
Unbekannt
(Portugal, Spanien oder Süditalien (?), Mitte 18. Jh.)
Vier Jesuiten
Im Jahr 1750 unterzeichneten die Kolonialmächte Spanien und Portugal in Europa den "Vertrag von Madrid" und definierten damit die Grenzen ihrer Niederlassungen im fernen Südamerika neu. Dort standen in Paraguay fortan Tausende Einheimische und Gesandte des Jesuitenordens im Zentrum territorialer Konflikte und fremdbestimmten Machtgeschehens. Ein frühes Beispiel und außergewöhnliches Zeugnis einer karikaturistischen Auseinandersetzung mit diesen Ereignissen konnte LETTER Stiftung 2023 am Kunstmarkt erwerben. Es handelt sich um ein Spottbild eines unbekannten Künstlers in Öl auf Leinwand, das vier Jesuiten darstellt.
In diesem führt ein Spruchband am oberen Bildrand titelgebend auf Französisch und in Kapitalschrift wie folgt in die Darstellung ein:
"QVATRE JESVITES DV PARAGVAI
VENVS A ROME L’AN 1756."
Übersetzt lautet dies: "Vier Jesuiten aus Paraguay, nach Rom im Jahr 1756 gekommen." Unter dem Textelement finden sich vor einem indifferent blauen Hintergrund links und rechts des Bildzentrums paarweise nebeneinander die vier Jesuiten. Sie sind in Halbfigur dargestellt und stehen im Profil einander zugewandt. Über weißen Hemden tragen die Kleriker schwere schwarze Mäntel mit aufgestellten Kragen. Obwohl der Orden kein obligatorisches Habit vorschreibt, weist die Kleidung sie erkennbar als Jesuiten aus. Die divergierenden Kopfbedeckungen mögen allerdings den Aspekt der unvereinheitlichten Kleiderordnung veranschaulichen. Tiefsinnigere Bedeutungsträger, wie etwa Gesten, Symbole oder Attribute, finden sich keine.
Ganz im Mittelpunkt stehen die karikaturhaft überformten Gesichter. Im Stil von Porträtkarikaturen sind die Köpfe gestaffelt geordnet und deren physiognomischen Merkmale mit den Mitteln der Übertreibung sowie Deformation verzerrt worden [Abb. 1]. Insbesondere die Nasen und Münder sind in Form und Größe massiv überzeichnet, so daß die Silhouetten ihrer Profile grotesk verschlungene Linien ziehen, die effektvoll vor dem Hintergrund kontrastieren. Tiefe Falten und zerzauste Frisuren komplettieren die unschmeichelhafte Darbietung, welche offenkundig für antijesuitische Kreise geschaffen wurde bzw. aus solchen entstammt.
Abb. 1 Anne Claude Philippe Comte de Caylus
nach Jouvenet (?)
Karikaturen von Jesuiten
ca. 1762
Radierung
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Mitte des 18. Jahrhunderts herrschte an den Höfen in großen Teilen Europas gegenüber der "Gesellschaft Jesu" ein mißtrauisches Klima. Insbesondere in Portugal und Spanien begriff man die missionarische Aktivität der Kleriker in Südamerika als Störung der örtlichen Kolonialpolitik. In Paraguay hatten die Jesuiten seit 1607 unter Hoheit der spanischen Krone zusammen mit Teilen der einheimischen Bevölkerung nahezu selbstverwaltete Ordensprovinzen, sogenannte Reduktionen, eingerichtet. Über Jahrzehnte lebten dort jesuitische Missionare und Angehörige des ansässigen Guaraní-Stammes weitestgehend friedlich zusammen.[1] Der Orden bot Einheimischen dort ein organisiertes Gemeinwesen, Schutz vor Versklavung sowie eine unabhängige Entfaltung und nicht zuletzt Betreuung im Glaubensleben.
1750 jedoch organisierte der "Vertrag von Madrid" die Grenzen der spanischen und portugiesischen Kolonien in Südamerika neu, woraufhin große Bereiche des einstmals spanischen Territoriums an Portugal fielen. Infolgedessen sollten sieben nunmehr in portugiesischem Gebiet liegende Reduktionen geräumt und deren Bewohner in das neue spanische Territorium umgesiedelt werden. Während Portugal auf eine zügige Umsetzung des Umsiedlungsbefehls bestand, bemühte sich der Orden diesen zum Schutze seiner Reduktionen und der Territorien der Guaraní bürokratisch zu revidieren. Trotz aller Deeskalationsbemühungen der Jesuiten gipfelten die Ereignisse im sogenannten "Krieg der sieben Reduktionen". Nach zweijährigen Konflikten zwischen den Stammesmitgliedern und den neuen Landesherren eskalierte dieser im angegebenen Jahr 1756, als vereinte spanisch-portugiesische Truppen die Umsiedlung bzw. Vertreibung gewaltsam durchsetzten. Zahlreiche Einheimische kamen dabei ums Leben oder verloren ihr Land, während die Jesuiten ihre Reduktionen sukzessive aufgeben und räumen mußten. 1767 schließlich scheiterten die jesuitischen Missionsbemühungen in Paraguay endgültig, als die Reduktionen durch Erlaß des spanischen Königs offiziell aufgehoben wurden.
In Europa wurden diese Ereignisse durch eine maßgeblich aus Portugal initiierte und europaweit verbreitete Propagandakampagne begleitet. Alte antijesuitische Vorurteile und Stereotype[2] wurden dafür mit dem Verschwörungsvorwurf einer schleichenden und planmäßigen Unterwanderung des säkular-politischen Machtgefüges durch die Jesuiten verknüpft. Die Ereignisse in Paraguay boten den Gegnern des Ordens die Gelegenheit, solche Beschuldigungen durch den Vorwurf einer Behinderung der dortigen Kolonialentwicklung und vermeintlichen Rekrutierung der Indianer zu forcieren.[3] In Pamphleten, Zeitungen sowie Spott- und Flugschriften wurde antijesuitische Propaganda in Schrift und Bild europaweit in die Öffentlichkeit getragen, um eine Politik zu rechtfertigen, die selbst Inhaftierungen und Deportationen der Ordensmitglieder vorsah.[4] Zunächst 1758 in Portugal und in den folgenden Jahren auch in Spanien und Frankreich traten sukzessive Verbote des Ordens und Vertreibungen ihrer Mitglieder in Kraft, die 1773 schließlich in der Aufhebung des Ordens durch päpstlichen Erlaß gipfelte.
Abb. 2 Unbekannt
AU DIEU PROTECTEUR DES ROYS ET
DES PEUPLES
ca. 1759 Kupferstich
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Ein Großteil antijesuitischer Karikaturen kursierte im Kontext textgebundener Propagandamedien, wo sie einer großen Leserschaft komplexe Argumentationen und Beweisführungen illustrativ veranschaulichten [Abb. 2]. Die Bildrhetorik der vorliegenden Porträtkarikatur ist wesentlich einfacher; hier steht ganz die groteske Deformation der körperlichen Merkmale der Ordensvertreter und die Polemik ihrer degenerierten Erscheinung im Zentrum. Die Deformation erfolgt hierbei nach grundsätzlich negativ besetzten physiognomischen Merkmalen, die bisweilen auch an antisemitische und rassistische Verunglimpfungen erinnern. Ob hier historisch identifizierbare Persönlichkeiten adressiert wurden, konnte bisher nicht ermittelt werden. Da diese jedoch nicht namentlich bezeichnet sind und das Medium der Malerei auf eine langfristige Rezeption ausgelegt ist, zielt das Spottbild auf eine allgemeine Diffamierung der "Gesellschaft Jesu" und ihrer Mitglieder, deren Häme auch abseits spezifischer historischer Sachverhalte wirksam und verständlich ist.
Das Spruchband bettet die Darstellung formelhaft in den historischen Kontext ein und schreibt dem Personal eine bestimmte Rolle zu. Als Rückkehrer aus Paraguay repräsentieren sie jene Reduktionen, deren Scheitern sich im genannten Jahr 1756 durch die militärische Behauptung der Kolonialmächte entscheidend abzeichnete. Die Destination Rom ist als Ordenssitz der Gesellschaft Jesu einerseits naheliegend, andererseits als Verweis auf die papsttreue Konstitution des Ordens lesbar. Hinweise für den genauen Anlaß der Rückkehr finden sich keine, mit Blick auf die eskalierenden Ereignisse in den Reduktionen steht dieser aber höchstwahrscheinlich in einem diplomatischen oder fluchtbedingten Zusammenhang.[5] Das Narrativ der Vertreibung und Ausreise ist ein gängiges Motiv in der antijesuitischen Bildpublizistik und wurde auch in Karikaturen über die innereuropäischen Ausweisungen des Ordens aufgegriffen [Abb. 3]. Obschon dieses Motiv in der vorliegenden Karikatur nicht szenisch dargestellt wurde, ist der Bildtext über das deskriptive Element hinaus als hämisch konnotierter Verweis auf die erfolgreich erzwungene Ausreise bzw. Vertreibung der hier dargestellten Jesuiten aus Paraguay lesbar.
Abb. 3
Unbekannt
Expulsion des Jesuites des Etats du Roy d’Espagne
de Naples et des Duchés de Parmes
ca. 1767
Radierung
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Vor dem Hintergrund der jesuitischen Missionsarbeit in Südamerika deutet die Karikatur ferner eine rassistische Lesart an. Dabei rücken wieder die karikierten Gesichtszüge der Dargestellten in den Blick. Insbesondere an der markanten Gestaltung der Nasen und Münder zeigt sich, daß die beiden Paare entsprechend der kompositorischen Ordnung auch nach physiognomischen Merkmalen gruppiert wurden. Während nämlich das linke Paar zufallende Augen, herabgekrümmte Nasen und verschwindend kleine Oberlippen aufweist,[6] zeichnet sich das rechte Paar durch gegenteilige Merkmale aus, die in Physiognomie und Teint an ethnische Stereotype einer indigenen Bevölkerung angelegt sind. Offenbar wurden hier distinktive Herkunftsmerkmale der Dargestellten gegenübergestellt, um die Aspekte der missionarischen Tätigkeit und des Übereinkommens von Jesuiten und den Einheimischen zu verdeutlichen. Obwohl die "Gesellschaft Jesu" in Paraguay Einheimische nur taufte, nicht aber als Mitglieder in den Orden aufnahm, sind alle vier Personen im Gemälde als Jesuiten bezeichnet und wie ebensolche gekleidet. Die Karikatur spielt damit auf die propagandistische Unterstellung an, nach welcher die jesuitische Mission lediglich Vorwand für eine heimliche Vereinnahmung bzw. Rekrutierung der lokalen Bevölkerung zur Realisierung ihrer eigenen, mitunter wirtschaflichen Zwecke gewesen sei.
Die spärliche Quellen- und Informationslage läßt nur vage Vermutungen zu den genaueren Hintergründen des Gemäldes zu. Stil und Kolorit der malerischen Ausführung weisen – ohne daß bislang ein individueller Künstler oder eine regionale Schule damit verbunden wurden – auf eine Urheberschaft aus dem portugiesischen, spanischen oder auch süditalienischen Raum hin, wohingegen die unmittelbare Involviertheit in das Kolonialgeschehen Paraguays einen spanischen oder portugiesischen Kontext nahelegt. Die französische Formulierung des Spruchbandes war hingegen als "Lingua Franca" in jener Zeit gebräuchlich. Das in der Karikatur seltene Medium der Malerei und die damit verbunden geringere Rezeptionsreichweite weisen ferner auf einen privaten Ursprung und Besitz in einem antijesuitischen Umfeld hin, wo es weniger der propagandistischen Meinungsbildung, als vielmehr der unterhaltsamen Meinungsbestätigung einer Person diente, die möglicherweise unmittelbar als Akteur in jene Ereignisse involviert war. Die Datierung richtet sich maßgeblich nach dem im Spruchband bezeichneten Jahr 1756. Eine spätere Realisierung ist zwar nicht auszuschließen, dürfte aber aufgrund der historischen Spezifität des benannten Jahres und der zumeist zeitnahen Resonanz in karikaturistischen Bildern nicht allzu groß ausfallen. Nicht zuletzt die Tatsache, daß es sich bei der vorliegenden Arbeit in der langen Geschichte des Ordens nicht um die erste, in Bezug auf die Ereignisse in Paraguay zur Mitte des 18. Jahrhunderts aber um eine sehr frühe Karikatur handelt, unterstreicht ihre besondere Bedeutung.[7]
Martin Weyand
[1] Mit Ausnahme vereinzelter Konflikte mit verfeindeten einheimischen Stämmen oder lokalen Siedlern, die ökonomisch mit den Reduktionen konkurrierten oder Einheimische als Sklaven jagten.
[2] Schon im Dreißigjährigen Krieg wurde europaweit ein nachhaltiges Feind- und Spottbild der Jesuiten konstruiert, das mit diversen Vorurteilen arbeitete.
[3] Archiv der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten (Hrsg.): „Je nun, das Kleid ist hin ...“. 250 Jahre Aufhebung des Jesuitenordens 1773-2023; München 2023, S. 24
[4] Vogel, Christine: Die Aufhebung der Gesellschaft Jesu (1758-1773); in: Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (Hrsg.): Europäische Geschichte Online (EGO); Mainz 2010, Abschnitt 25 (o.S.)
[5] 1756 fand in Rom eine Generalkongregation der Jesuiten statt, wofür sogenannte Prokuratoren immer zu zweit anreisten. Daneben ist eine diplomatische Reise möglicher Anlaß, die im Zuge einer Beschwerde gegen das portugiesische Vorgehen in Paraguay dem Papst im Rom vorlegt wurde, oder aber eine Ausweisung aus Paraguay durch die portugiesische Obrigkeit.
[6] 1778 hat Johann Caspar Lavatar in seinen „Physiognomischen Fragmenten“, im Versuch religiös konnotierte Physiognomien zu kategorisieren, für die Jesuiten ganz ähnliche Merkmale notiert.
[7] Für die zahlreichen Anregungen und kenntnisreichen Hinweise gilt großer Dank Herrn Dr. Niccolo Steiner SJ, Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a.M.