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"Essai de Danse macabre par Fingesten 1938. 13 eaux-fortes pointe-séches et gravures"

25.07.2016 09:00

Michel Fingesten (1884-1943)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Michel Fingesten (1884-1943)

 

Essai de Danse macabre par Fingesten 1938

13 eaux-fortes pointe-séches et gravures

 

Folge von 13 Rakeltiefdrucken (inkl. Titel) nach Radierungen mit Kaltnadel und Kupferstich (?) in Kombination mit Kaltnadel und Radierung auf chamoisfarbenem Maschinenvelin

1938

30,2-31,7 x 16,5-19,6 cm (Maße Platten)

ca. 40,0 x 28,0 cm (Maße Blätter)

Inv.-Nr. 2016.141.000 - 2016.141.013

 

 

Die Folge mit den hoch originellen Totentanzdarstellungen Fingestens, zu deren Erscheinungsform (in einer Mappe oder als lose Folge?) und Auflagenhöhe sich bisher keine Informationen finden ließen, erschien 1938 im Selbstverlag des Künstlers und liegt hier in "epreuve d’artiste"-Abzügen außerhalb der Auflage vor.

 

Entgegen der Angabe auf dem Titelblatt handelt es sich beim vorliegenden Exemplar bei den eigentlichen Darstellungen nicht um originalgraphische Arbeiten in Radierung, Kaltnadel oder Stich, sondern um Rakeltiefdrucke nach solchen. Diese Hauptdarstellungen nehmen bei den hochformatigen Blättern den oberen, bei dem einzigen querformatigen Blatt dagegen den rechten Teil der Platte ein. Im Anschluß kombinierte Fingesten sie mit Remarquen in Radierung und / oder Kaltnadel, welche als mehr oder weniger direkte innerbildliche "Kommentare" zu den Bildszenen verstanden werden können. Diese ungewöhnliche Kombination von Originalgraphik und Reproduktionen nach Originalgraphik wirft verschiedene Fragen auf, die bisher nicht schlüssig beantwortet werden konnten.

 

Zum einen erstaunt sehr, warum Fingesten Reproduktionen eigener Radierungen herstellen ließ, da er bei der gewiß kleinen Auflage auch die Platten selbst hätte drucken (lassen) können. Ein weiterer Arbeitsschritt (die photomechanische Übertragung der Originale auf neue Platten) ist nicht nur ein zusätzlicher Kostenfaktor, sondern auch – und dies wiegt weitaus schwerer – mit einem Qualitätsverlust verbunden. Überdies – und das ist der gravierendste Punkt – läuft die Verwendung eines photomechanischen Reproduktionsverfahrens, welches der Künstler nirgends angibt, implizit auf eine Täuschung der Sammler hinaus, die in der Annahme gelassen werden, sie würden eine vom Künstler eigenhändig radierte Folge erwerben – was bisher offenbar auch der Fall war, da dieser Sachverhalt in der einschlägigen Literatur zu Fingesten bisher nirgends Erwähnung fand und sowohl Nechwatal o.J. als auch Ladnar / Decker 2010 und Decker 2014 für die gesamte Folge fälschlich "Radierung" als Technik angeben.

 

 

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Blatt 1, Detail

(Übergang Hauptszene / Remarque)

Blatt 1, Inv.-Nr. 2016.141.002  

 

 

Da das bisher einzige weitere nachweisbare vollständige Exemplar der Folge in der Sammlung Josef Burch, Giswil (Schweiz), welches ebenfalls als "Epreuve d'artiste" bezeichnet ist, dieselbe technische Beschaffenheit aufweist, wie eine Nachfrage ergab (die bei Ladnar / Decker 2010 und Decker 2014 abgebildeten Blätter dort, wie bereits erwähnt, noch als Radierungen apostrophiert), und Abzüge der eigenhändigen Radierungen, nach denen die Rakeltiefdrucke angefertigt wurden, nicht nachgewiesen werden konnten, ist davon auszugehen, daß Fingesten die gesamte Auflage in der vorliegenden Form angefertigt hat bzw. anfertigen ließ und die Entscheidung, solch ein Verfahren anzuwenden, auf ihn zurückgeht bzw. von ihm autorisiert wurde. Eine Erklärung für diese ungewöhnliche Kombination könnte sein, daß Fingesten ursprünglich nur die Hauptdarstellungen radiert hat und erst danach den Wunsch verspürte, diese mit "Remarquen" zu ergänzen. Um die Hauptszenen nun nicht noch einmal neu auf einer größeren Platte radieren zu müssen, wäre es denkbar, daß er auf photomechanischem Wege Rakeltiefdrucke nach Abzügen der ursprünglichen Platten auf größeren Platten herstellen ließ und danach die ergänzenden Motive mit der Kaltnadel händisch hinzuradiert hat.

 

Dieselbe Kombination von Rakeltiefdruck und Kaltnadel findet sich auch in den Blättern der 1939, also nur ein Jahr später erschienenen und gleichfalls in der Sammlung von LETTER Stiftung vertretenen Folge der "Kleinen Randbemerkungen zum Thema Krieg" (Inv.-Nr. 2008.257), bei denen das Raster allerdings noch feiner als bei den Blättern des "Essai de Danse macabre" ist und bei der es auch eine Platte gibt, die keine kommentierende Remarque zur - in diesem Fall dann die ganze Platte einnehmenden und im Rakeltiefdruck reproduzierten - Hauptdarstellung hat. Läßt die dort vorhandene Titelergänzung "10 Ätzungen und Kaltnadel-Radierungen" noch hellhörig werden, da der Begriff "Ätzung" nicht zwangsläufig auf eine Radierung und somit eine originalgraphische Umsetzung verweist, suggeriert jener in der vorliegenden Folge ganz explizit, daß es sich bei den Darstellungen in Gänze um Originale handelt.

 

In einem Brief Fingestens an den Sammler Vallaster (abgedruckt bei Ladnar/Decker 2010, S. 43) verweist Fingesten allerdings im Zusammenhang eines dem Sammler angebotenen Exemplars des "Essai de Danse macabre" mit Remarquen darauf, daß diese "nach wenigen Abzügen abgesägt wurden," was die zuvor geäußerte These hinfällig machen würde.

 

Hinweise zur Klärung der angeschnittenen Fragen sowie zu weiteren vollständigen Exemplaren der beiden Folgen in der vorliegenden Form, zur Existenz von Exemplaren bzw. Einzelblättern, die eventuell vollständig originalgraphisch ausgeführt wurden, oder aber Blättern, bei denen die Remarquen "abgesägt" wurden, sind jederzeit willkommen!

 

Literatur:

- Nechwatal, Norbert: Michel Fingesten 1884-1943. Das graphische Werk; o.O. o.J.

- Ladnar, Ulrike / Decker, Heinz: Memento Mori. Exlibris zu Tod und Totentanz; Ausst.-Begleitpublikation (aus dem Bestand Sammlung Josef Burch) Sachseln, Museum Bruder Klaus Sachseln 28.3.-13.6.2010; Wiesbaden 2010

- Decker, Heinz: Totentanz und Kleine Randbemerkungen zum Krieg. Die Kriegsvisionen von Michel Fingesten; o.O. 2014 (Jahresgabe der Europäischen Totentanz-Vereinigung 2014)

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